Es war der erste Auftritt des neuen zuständigen Abteilungsleiters im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vor Klinikpublikum. Gleichzeitig war es der Tag der feierlichen Verabschiedung des langjährigen kkvd-Vorsitzenden Theo Paul. Am Mittwoch, den 1. Juni 2022 trafen sich mehr als 100 Vertreter:innen aus katholischen Krankenhäusern, Politik und Verbänden in Berlin, um die Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung zu diskutieren. Der Fachtag des Katholischen Krankenhausverbands Deutschlands (kkvd) fand im Hotel Aquino statt.
Der kkvd-Vorsitzende Ingo Morell begrüßte die Gäste. „Die Pandemie ist in den Krankenhäusern nicht zu Ende“, so sein Blick auf die anhaltend angespannte Lage in den Häusern. Zusätzlich bringe die vom Ukraine-Krieg ausgelöste Inflation finanzielle Belastungen für Kliniken. „Wir haben die Kosten, bekommen das aber nicht refinanziert“, so Morell. Hier müsse die Politik handeln.
Mit Blick auf die anstehende Krankenhausreform sagte Morell: „Wir werden uns dem Strukturwandel nicht verschließen, auch wenn es unangenehm wird“. Er warnte jedoch vor ungeregelten Strukturveränderungen durch die Hintertür.
Auch Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), warb in seinem Vortrag eindringlich für „eine verantwortliche Strukturentwicklung statt einem kalten Strukturwandel“. Dass die Reformen nicht vorankommen, habe mehrere Gründe. Einer davon: „Es gibt kein klares operationalisierbares Ziel“. Zudem fehle es der Politik an Mut und politischem Willen, die Versorgungsstrukturen zu modernisieren, so Gaß.
Aus seiner Sicht müssen Bund und Ländern nun gemeinsam handeln: „Es muss sofort eine Bund-Länder-Zukunftskommission eingesetzt und beauftragt werden.“ Für die Krankenhausplanung seien bundesweite Orientierungsvorgaben denkbar, aber das Letztentscheidungsrecht müsse bei den Ländern bleiben, so der DKG-Chef. Die vom Bundesgesundheitsministerium eingesetzte Regierungskommission sei zudem in der Pflicht, Lösungen für eine faire Finanzierung zu finden.
Abschließend unterstrich Gaß die Kooperationsbereitschaft der Krankenhäuser: „Wir machen ein Angebot für eine gute Zukunft mit weniger Misstrauen und Bürokratie sowie mehr Attraktivität, um junge Menschen als Fachkräfte zu gewinnen.“
Seit Mitte Mai ist Michael Weller der für die Krankenhausversorgung ständige Abteilungsleiter im Bundesministerium für Gesundheit. Auf dem kkvd-Fachtag sprach er erstmals vor Krankenhauspublikum. Er versicherte: „Es wird keine kalte Strukturbereinigung geben. Das ist gesetzt.“ Ursachen für den stockenden Reformprozess seien vor allem die aktuellen Krisen von der Corona-Pandemie bis zum Ukraine-Krieg.
Die vom Gesundheitsministerium eingesetzte Regierungskommission habe sich mittlerweile konstituiert und zu zwei Sitzungen getroffen. In der Zusammensetzung zeige sich ein „spannender Mix“ an Mitgliedern. „Die Regierungskommission macht nicht die fertige Reform“, erläuterte Weller weiter, „die Kommission soll Expertise aus verschiedenen Perspektiven einbringen und etwas zwischen einer Stellungnahme und einem Gutachten erarbeiten.“ Darauf folge dann der politische Prozess, der voraussichtlich schrittweise in mehrere Gesetzgebungsverfahren münden werde.
Mit Blick auf die Arbeitsagenda seines Hauses betonte der Abteilungsleiter, dringlichsten Handlungsbedarf gebe es bei der Geburtshilfe und Pädiatrie. Auch für die Notfallversorgung werde das Ministerium zügig Reformvorschläge machen. Dem werde sich dann die Krankenhausreform anschließen. „Das ist das wichtigste Reformprojekt“, so Weller.
Nach der Diskussion über die Krankenhausreform leite kkvd-Geschäftsführerin Bernadette Rümmelin zur feierlichen Verabschiedung von Theo Paul über. Der ehemalige Generalvikar des Bistums Osnabrück war von März 2011 bis November 2021 Vorsitzender des kkvd.
In einer kurzen Videoeinspielung wurden Stationen aus seiner zehnjährigen Amtszeit gezeigt. Danach trat der ehemalige Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, ans Redepult, um Theo Paul mit einer Laudatio zu würdigen.
Mit einem Augenzwinkern berichtete Langendörfer, dass in Pauls Kindheit sowohl der elterliche Nebenerwerbsbetrieb als auch das benachbarte Krankenhaus in Bad Laer jeweils über ein Pferd verfügten: „Man tat sich zusammen und lieh sich gegenseitig das Pferd aus, wenn etwas Besonderes zu tun war, und schon war eine lebenslange Freundschaft zwischen Krankenhäusern und Theo Paul begründet.“
Pater Langendörfer lobte insbesondere die praktische Solidarität seines Studienfreundes von der Frankfurter Jesuiten-Hochschule St. Georgen. „Er ist beseelt von dem Gedanken, dass Gesundheit ein Gemeingut ist, vergleichbar dem Wasser und er Luft, und deshalb alle Zugang zu ihr haben müssen“, so Langendörfer. „Der politisch-praktische und durch innere Freiheit getragene Ansatz von Theo Paul zeigt sich auch darin, dass er nachdrücklich für eine Revision des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts eintrat.“
Die aktuelle Aktion #OutInChurch, bei der 125 queere Haupt- und Ehrenamtliche ihre Beziehungsgeschichte darstellen und Wertschätzung verlangen, bezeichnete Pater Langendörfer als hilfreich: „Sie hat ein Momentum in die Debatte gebracht, das eine Novellierung der Grundordnung befördert.“
In seinem Wirken für den kkvd habe sich Paul „das einfühlsame, menschenfreundliche und immer auch humorvoll-distanzierte Auftreten, seine sympathische coolness, die begleitet wird von institutioneller und ethisch-prinzipieller Sensibilität und Achtsamkeit, orientiert z. B. an er Sozialethik der Kirche“ bewahrt, sagte der Laudator abschließend. Er dankte Theo Paul für seine Arbeit, in die er reichlich Herz und Verstand eingebracht habe.
Ingo Morell, der neue kkvd-Vorsitzende, betonte, die Wahl von Theo Paul zum kkvd Vorsitzender sei ein Glücksgriff für den Verband gewesen. Mit seiner menschlichen, lebensnahen und offenen Art habe er bestens zur Haltung der katholischen Krankenhäuser gepasst. Er dankte seinem Vorgänger für die gute Zusammenarbeit und für die wichtigen praktischen und geistlichen Impulse, die er dem Verband gegeben habe.
Dem folgte lange anhaltender, stehender Applaus der Anwesenden im Saal. Stellvertretenden für die kkvd-Mitglieder überreichten Morell und Rümmelin an Theo Paul eine Ausstattung und einen Gutschein für künftige Reisen mit dem Rad und der Bahn.
Nach der Mittagspause diskutierte ein hochkarätig besetztes Podium von Expert:innen aus Politik, Verbänden und Krankenkasse mögliche konkrete Weichenstellungen für eine Krankenhausreform.
Für die Regierungsmehrheit im Bundestag erläuterte der Abgeordnete Armin Grau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), die Vorhaben im Koalitionsvertrag. Notwendig sei eine Reform der Krankenhausfinanzierung und -planung. Die Krankenhäuser würden nach ihrer jeweiligen Versorgungsstufe spezifische Aufgaben bekommen. Bei der Krankenhausplanung verwies Grau auf das Beispiel NRW. „Ich hoffe auf eine Renaissance der echten Landes-Krankenhausplanung“, denn „die Landesebene macht die Krankenhausplanung, das hat Zukunft“, so der Grünen-Abgeordnete.
Christel Bienstein, Präsidentin des Berufsverbands der Pflegeberufe (DBfK), sagte: „Wir haben nicht zu wenige Pflegende, sie sind nur falsch verteilt.“ Sie forderte Mut zum systemischen Denken und für die Krankenhausplanung „einen vom Bund gesteuerten Masterplan“. Die Pflegekräfte belaste zudem das das Gefühl, aufgrund der enormen Arbeitslast nicht die professionelle Pflege leisten sie können, die sie eigentlich gelernt hätten.
Der Personalausstattung in der Pflege war auch zentrales Anliegen von Ates Gürpinar, Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE. Die Pflegepersonal-Regelung (PPR) 2.0 soll laut Koalitionsvertrag eigentlich bis zur Einführung eines wissenschaftlich fundierten Instruments zur Personalbemessung in den Kliniken Anwendung finden. Doch „die PPR 2.0 ist noch immer nicht im Bundestag gelandet“, so Gürpinar. Das sei aber dringend notwendig für die Umsetzung.
Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg, betonte: „Die Krankenhausversorgung ist kein Konsumgütermarkt“. Wettbewerb führe bei Krankenhäusern nur sehr begrenzt zum Erfolg. Dies müsse bei der Reform mit bedacht werden. Er bemängelte zudem, dass die Länder den Kliniken nicht die nötigen Mittel für Investitionen zur Verfügung stellen. Im Zweifel müsse dann künftig auch der Bund einspringen.
Aus Sicht von Georg Kippels, Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU-Fraktion, sollten Entscheidungen über die Versorgungsstrukturen auch weiterhin vor Ort getroffen werden. Er verwies zudem darauf, dass die Patientinnen und Patienten heute mündiger und kundiger seien. „Wir müssen an neue Versorgungskonzepte denken, in denen die Krankenhäuser eine verantwortliche Rolle spielen“, so der Unions-Abgeordnete. Die eingesetzte Regierungskommission könne eine ganzheitliche Reform jedenfalls nicht leisten.
Der stellvertretenden kkvd-Vorsitzende Ansgar Veer unterstrich in der lebhaften Diskussion, vor welchen Problemen und Herausforderungen die Kliniken wegen der unzureichenden Investitionsförderung stehen. Hinzu kamen in der aktuellen Situation zusätzliche Kosten aufgrund der Pandemie und Inflation, die anders als bisweilen behauptet, im Landesbasisfallwert nicht einpreist seien. Mit Blick auf die Krankenhausplanung sagte der Hauptgeschäftsführer der St. Bonifatius Hospitalgesellschaft Lingen: „In der Praxis haben die Kliniken über Netzwerke gezeigt, dass wir Versorgung gut machen.“
Der Fachtag wurde von der freien Journalistin Jana Ehrhardt-Joswig moderiert.
Fotos: kkvd/Jens Jeske