10.05.2022 – Seit Ende November 2021 ist Ingo Morell der neue Vorsitzende des kkvd. Die Mitgliederversammlung wählte ihn zum Nachfolger von Theo Paul, dem ehemaligen Generalvikar des Bistums Osnabrück, der nach zehn Jahren nicht erneut kandidiert hatte.
Morell ist als langjähriger Geschäftsführer der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe (GFO) ein erfahrener Praktiker. Durch sein Engagement in den Krankenhausgesellschaften in Nordrhein-Westfalen und auf Bundesebene sowie in Kirchen- und Caritas-Gremien sind dem neuen Vorsitzenden des kkvd die Verbandsarbeit und die Politik bestens vertraut.
Dem Vorstand des kkvd gehört Ingo Morell bereits seit 2009 an. Im gleichen Jahr übernahm er auch das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden. kkvd aktuell sprach mit Ingo Morell über die Zukunft der katholischen Krankenhäuser, die Rolle des kkvd und über aktuelle politische Herausforderungen.
kkvd aktuell: Letztes Jahr hat Theo Paul seinem Nachfolger mit auf den Weg gegeben: „Bleiben Sie zuversichtlich bei der Arbeit für die Zukunft der katholischen Krankenhäuser!“ Wie steht es mit Ihrer Zuversicht?
Ingo Morell: Da muss man ein wenig unterscheiden. Schaue ich mir an, was in der Welt passiert, beispielsweise den Krieg in der Ukraine, dann ist es mit der Zuversicht ganz schon schwer.
Was die Zukunft der katholischen Krankenhäuser angeht, bin ich trotz aller krankenhauspolitischen Diskussionen optimistisch. Wir werden für eine gute Gesundheitsversorgung gerade auch in der Fläche gebraucht. Und wir haben in den zurückliegenden, strukturpolitisch turbulenten Jahren gezeigt, dass wir veränderungsbereit und zukunftsorientiert sind. Das sollten wir uns erhalten. Auch die Auswirkungen der Pandemie sind nicht zu unterschätzen.
Besorgt macht mich zudem die Krise, in der sich die katholische Kirche befindet. Was beispielsweise bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfalle ans Tageslicht kommt, ist erschreckend. Selbstverständlich treibt das auch die Menschen um, die in den katholischen Krankenhäusern arbeiten.
kkvd aktuell: Zur Krise der Kirche hinzu kommen die Diskussionen über die Loyalitätspflichten für Mitarbeiter:innen in katholischen Einrichtungen.
Ingo Morell: Das stimmt. Ich persönlich halte es für grundfalsch, Loyalitätspflichten mit der privaten Lebensführung oder der sexuellen Orientierung zu vermengen. Mir ist wichtig, dass unsere Einrichtungen aus einer christlichen Haltung heraus arbeiten und dass dies auch nach außen spürbar wird. Es geht darum, was wir tun – und wie wir es tun.
Im Arbeitsalltag erlebe ich immer wieder konfessionslose Mitarbeitende, die den christlichen Geist mehr mittragen als manch andere. Die sexuelle Orientierung sollte für die Träger kein Grund zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen sein. Aber wir müssen noch mehr tun, damit niemand in unseren Teams das Gefühl hat, sich verstecken zu müssen, oder Diskriminierung fürchtet. Außerdem ist wichtig, dass die Grundordnung jetzt schnell überarbeitet wird.
kkvd aktuell: Die neue Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag das kirchliche Arbeitsrecht, den sogenannten „Dritten Weg“, auf den Prüfstand stellen. Was halten Sie davon?
Ingo Morell: Mein Eindruck ist, der „Dritte Weg“ wird immer nur am Streikverbot gemessen. Aber schaut man sich an, welche Ergebnisse mit dem „Dritten Weg“ für die Mitarbeitenden erzielt werden, braucht sich diese Alternative zum Tarifvertragsrecht nicht zu verstecken. Nur ein Beispiel: Bei der Caritas werden Pflegekräfte in der Altenhilfe genauso bezahlt wie diejenigen in der Krankenpflege. Das ist andernorts oft nicht der Fall.
Zudem finden auch bei uns Verhandlungen zwischen Mitarbeiterseite und Dienstgebern statt. Aber wir setzen bei Konflikten auf Schlichtung statt Streiks oder Aussperrung. Das ist kein Kuschelkurs, beide Seiten müssen zu- und abgeben, um am Ende zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Den Kritiker:innen des „Dritten Weges“ kann ich raten, sich die Ergebnisse und den Weg dahin einmal genau anzuschauen. Ich bin überzeugt, der „Dritte Weg“ ist definitiv nicht schlechter als der „Zweite Weg“ mit Tarifverträgen.
kkvd aktuell: Die neue Bundesregierung hat sich auch eine grundlegende Krankenhausreform vorgenommen. Dafür sollen eine Regierungskommission eingesetzt und ein Bund-Länder-Pakt geschmiedet werden. Welche Erwartungen haben Sie daran?
Ingo Morell: Ganz wesentlich wird sein, wie die Regierungskommission zusammengesetzt ist und mit welchem Auftrag sie arbeitet. Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Konsensproblem. Meine Hoffnung ist außerdem, dass sich bei der Pflege schnell etwas tut. Werden die Pflegepersonaluntergrenzen durch die Pflegepersonal-Regelung (PPR) 2.0 ersetzt, dann wäre schon einiges gewonnen.
Hohe Priorität sehe ich auch bei der Reform der Krankenhausfinanzierung. Die Kliniken müssen endlich aus dem Hamsterrad befreit werden, in das sie geraten, wenn sie ihre Vorhaltekosten und Investitionen nur noch durch immer höhere Fallzahlen finanzieren können. Bei der Krankenhausplanung wird viel vom Verhalten der Länder abhängen. Dass wir am Ende für alle sechzehn Bundesländer eine einheitliche Krankenhausplanung bekommen, kann ich mir nicht vorstellen. Dafür fehlt mir im Moment noch die Fantasie.
kkvd aktuell: In der Tat schlagen die Länder gerade sehr unterschiedliche Wege bei der Krankenhausplanung ein. Niedersachsen will künftig auf eine gestufte Versorgung setzen. Nordrhein-Westfalen geht einen anderen Weg mit Leistungsbereichen und -gruppen. Wo liegen die Stärken und Schwächen dieser Modelle?
Ingo Morell: Es gibt keinen Königsweg bei der Krankenhausplanung. Bei den Versorgungsstufen, seien es drei oder fünf, frage ich mich, wie die genau definiert und abgegrenzt werden sollen. Geht es nach Menge, entweder der Fall- oder Bettenzahl, wird das der Versorgungsrealität nicht gerecht. Das Modell mit Leistungsbereichen und -gruppen in Nordrhein-Westfalen hat auch seine Tücken. Es bietet allerdings die Möglichkeit, dass Kliniken in Teilbereichen Maximalversorgungsniveau haben können, ohne dass dies für das ganze Haus gelten muss. So können sie sich differenzierter aufstellen. Das spiegelt auch die Realität in den Krankenhäusern wider.
kkvd aktuell: Am 15. Mai wird in Nordrhein-Westfalen (NRW) gewählt. Danach geht die Umsetzung der neuen Landes-Krankenhausplanung in die entscheidende Phase. Worauf kommt es dabei an?
Ingo Morell: Der jetzige Landesgesundheitsminister hat uns zugesagt, dass die neue Krankenhausplanung ein lernendes System ist. Ich erwarte, dass diese Zusage steht, egal wer nach der Wahl die Regierung stellt. Das ist wichtig, denn bei der Umsetzung werden wir viele Vorgaben nochmals hinterfragen und gegebenenfalls korrigieren müssen.
Außerdem geht es nicht ohne Öffnungsklauseln. Nordrhein-Westfalen ist abseits seiner Ballungsgebiete auch ein Flächenland, beispielsweise in Westfalen-Lippe oder im Hochsauerlandkreis. Dort gibt es Krankenhäuser, die die neuen Planungsvorgaben nicht erfüllen können, aber trotzdem für die Versorgung notwendig sind. Niemand will diese Häuser schließen oder umwidmen, auch nicht die Krankenkassen oder die Landesregierung. Da wird man andere Wege finden müssen.
Klar ist schließlich: Ohne zusätzliches Geld vom Land wird die Umsetzung des Krankenhausplans nicht gelingen. Ich weiß von den katholischen Trägern, dass sie zu deutlichen Strukturveränderungen bereit sind. In Nordrhein-Westfalen haben wir viele Verbünde, die das als Chance sehen.
Aber der Abbau von Kapazitäten oder die Zusammenlegung von Häusern kostet Geld, das weder die katholischen noch die anderen Krankenhäuser selbst aufbringen können. Wir haben die Zusage der Spitzen aller Parteien, die derzeit für eine Regierungsbildung in Frage kommen, dass sie dafür Landesmittel aufbringen wollen. Doch entscheidend ist, was nach der Wahl passiert.
kkvd aktuell: Die Corona-Pandemie hat die Krankenhäuser und ihre Teams in den vergangenen beiden Jahren sehr in Atem gehalten. Was sind Lehren aus dieser Zeit?
Ingo Morell: Ich kann mich gut an den Sommer 2021 erinnern. Draußen auf den Straßen sprach kaum noch jemand über die Pandemie, aber in den Krankenhäusern war Corona weiter sehr präsent. Jetzt heißt es aus der Politik, in diesem Sommer konnten die Kliniken in den Normalbetrieb wechseln. Doch das gilt aus meiner Sicht für die wenigsten Häuser. Vielmehr müssen wir uns laut Expertenmeinung auf neue Infektionswellen im Herbst und Winter einstellen. Die Pandemie wird uns also wohl noch eine Weile begleiten.
Trotzdem ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, um für künftige Krisen vorzusorgen. Heute wissen wir, wo der Schuh drückt und welche Investitionen sinnvoll und nötig sind, um die Krankenhäuser langfristig krisenfest zu machen. Das reicht von baulichen Maßnahmen bis hin zur Digitalisierung. Notwendig ist eine ausreichende Investitionsfinanzierung. Wenn die Länder das nicht stemmen können, sollte der Bund mit zielgerichteten Förderprogrammen mit einsteigen.
Außerdem haben wir bei der Pandemiebewältigung davon profitiert, dass es in Deutschland vergleichsweise viele Krankenhäuser gibt. Das heißt nicht, dass jetzt jeder Standort unverzichtbar ist. Es wird weitere Zusammenlegungen und Umwidmungen geben. Aber wir brauchen Reservekapazitäten, um in einer Krise handlungsfähig zu bleiben.
kkvd aktuell: Wo sehen Sie die katholischen Krankenhäuser in Deutschland in zehn Jahren?
Ingo Morell: Wir werden in den nächsten zehn Jahren auch im katholischen Bereich eine weitere Konzentration der Träger und der Standorte erleben. Dabei sind gerade in den ländlichen Gebieten kreative Ideen gefragt, wie wir mit Standorten umgehen. Denn die medizinische Versorgung in den ländlichen Regionen wird ohne uns stellenweise schwierig.
Mein Wunsch ist außerdem, dass wir trotz aller Spezialisierung der Medizin die ganz „normalen“ Kranken nicht aus dem Blick verlieren: Die katholischen Krankenhäuser sind neben der Spezialisierung und medizinischen Versorgung auch dafür da, die Menschen wohnortnah zu versorgen. Muss eine Patientin für einen unkomplizierten stationären Aufenthalt 60 Kilometer weit fahren, geht das zu Lasten des Kontakts zu Angehörigen und Freunden, die diese Strecke nicht jeden Tag fahren können. Dabei wissen wir doch, wie wichtig das soziale Netz für die Genesung ist.
kkvd aktuell: Was ist der Beitrag des kkvd auf diesem Weg?
Ingo Morell: Schaut man zehn Jahre zurück, stellt man fest: Die Krankenhauslandschaft ist heute heterogener als damals. Und damit hat auch die Bandbreite der Interessen stark zugenommen. Wir können daher nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass die Interessen der katholischen Krankenhäuser, die einen besonderen Schwerpunkt auf die Daseinsvorsorge legen, von allen anderen mitvertreten werden. Wir müssen selbst unsere Stimme erheben. Wenn wir in Berlin nicht auftreten und auch mal laut sind, dann werden die Dinge, die uns wichtig sind, einfach hinten runterfallen. Darum braucht es den kkvd.
kkvd aktuell: Hat der kkvd deswegen im vergangenen Jahr seine Verbandsstrategie neu ausgerichtet?
Ingo Morell: Ja, wir müssen unsere Interessen und Ansichten deutlicher vertreten. Das gilt innerhalb der Deutschen Krankenhausgesellschaft, aber auch außerhalb, im politischen Berlin. Kern der Strategie ist, dass sich der kkvd in seiner Arbeit gleichzeitig auch ein Stück konzentriert. Wir müssen nicht nochmals wiederholen, was in den Rundschreiben der Deutschen Krankenhausgesellschaft bereits aufgeschrieben wurde, sondern unsere Positionen in den Politikbereich und in die Gesellschaft bringen.
Daher haben wir drei Schwerpunkte gesetzt. Wir wollen deutlich machen, dass die freigemeinnützige Trägerschaft ein Zukunftsmodell ist, das Gemeinwohlorientierung und nachhaltiges Wirtschaften gut miteinander verbindet. Wichtig ist uns zudem, die Bedeutung regionaler Versorgungsstrukturen und einer regionalen Planung für die Daseinsvorsorge zu unterstreichen sowie die Bedeutung von Menschlichkeit, Zuwendung und Fürsorge im Umgang miteinander hervorzuheben.
Zusätzlich wollen wir uns über die Diözesan-Caritasverbände auch in den Bundesländern besser vernetzen, denn die Landesebene wird für uns immer wichtiger, gerade im Bereich der Krankenhausplanung.
Schließlich wollen wir auch die Mitglieder stärker mitnehmen. Denn es ist aus der Praxisperspektive vor Ort schon schwer nachzuvollziehen, nach welchen ganz anderen Regeln die Politik in Berlin funktioniert. Wir sehen uns da in der Pflicht, starker zu kommunizieren, was wir tun, welche Themen akut sind und wie die Prozesse im Berliner Politikbetrieb ablaufen.
kkvd aktuell: Das lädt zu einer Abschlussfrage ein: Was unterscheidet den Berliner Politikbetrieb von der Interessenvertretung auf lokaler oder Landesebene?
Ingo Morell: Lokal- und Landespolitik sind viel näher dran an den realen Problemen. In Berlin habe ich manchmal das Gefühl, hier gibt es eine Art von virtueller Welt und man schaut daher anders auf die Probleme. Demnach sollte am liebsten alles bundesweit vereinheitlicht und klar vorgegeben werden, ohne die regionalen Besonderheiten im Blick zu haben.
Ein gutes Beispiel dafür sind die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Frühchen-Stationen. Die sind bis heute nicht umgesetzt, weil sie schlicht an der Realität vorbeigehen. Und davor haben wir von Anfang an gewarnt. Leider erleben wir es immer öfter, dass in der Bundespolitik gut gemeinte Ideen entstehen, die vor Ort nicht umsetzbar sind. Auch das ist unsere Aufgabe als kkvd, nämlich dafür zu sorgen, dass in der Politik das reale Leben nicht aus dem Blick gerät.
Das Interview wurde im April 2022 geführt und erschien in der Ausgabe 01/2022 von “kkvd aktuell”. Die Fragen stellte Herbert Möller.
Fotos: Caritas in NRW/Achim Pohl