25.07.2022 – Ende Mai legte die Bischöfliche Arbeitsgruppe Arbeitsrecht einen Entwurf zur Überarbeitung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes vor. Dem voraus gingen Diskussionen über die bisher von Mitarbeitenden kirchlicher Einrichtungen geforderten Loyalitätspflichten. kkvd aktuell sprach darüber mit Matthias Scholz, dem Vorstandsvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen (AcU).
Dr. Matthias Scholz ist Vorstandsvorsitzender der AcU
kkvd aktuell: Die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche erreichte 2021 mit rund 360.000 einen neuen Rekord. Hat das auch Auswirkungen auf die Arbeit in den kirchlichen Unternehmen?
Matthias Scholz: Ja, in zweifacher Hinsicht: Zum einen treffen caritative Dienstgeber immer öfter auf Bewerber:innen, die aus der katholischen Kirche ausgetreten sind. Nach der geltenden Grundordnung dürften sie nicht eingestellt werden, auch wenn sie fachlich und persönlich bestens geeignet sind. Zum anderen gibt es langjährige Mitarbeitende, die sich jetzt zum Kirchenaustritt entscheiden. Die Träger gehen damit unterschiedlich um. Manche sehen darüber hinweg, andere suchen das Gespräch. Zur Kündigung kommt es meiner Kenntnis nach nur noch selten.
kkvd aktuell: Wie bewerten Sie hier den Entwurf der neuen Grundordnung?
Matthias Scholz: Er ist ein deutlicher Fortschritt. Gut, dass jetzt auch die Caritas ausdrücklich als Grundvollzug der Kirche genannt wird. Wichtig ist zudem, dass Diversität anerkannt wird, und zwar mit Bezug auf den Katalog des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Letztlich sollen alle bisherigen Loyalitätspflichten zur persönlichen Lebensgestaltung wegfallen, ausgenommen der Kirchenaustritt.
Diese Ausnahme ist für uns allerdings ein großer Kritikpunkt. Denn in der Sozial- und Gesundheitsbranche herrscht Fachkräftemangel. Bleibt der Austritt aus der katholischen Kirche ein Ausschlusskriterium für den Dienst in caritativen Einrichtungen, befinden sich ihre Träger weiterhin in einer Zwickmühle: Entweder sie ignorieren hier die Grundordnung, oder sie halten sich daran und nehmen erhebliche Konsequenzen für ihre Arbeit in Kauf. Zu der letzten Option sind immer weniger bereit.
Aus unserer Sicht sollte man eine Regel, die von sehr vielen in der Praxis nicht gelebt werden kann, aus der Grundordnung herauslassen. Dass die verfasste Kirche mit Blick auf ihre direkten Mitarbeiter:innen eventuell eine andere Haltung hat, kann ich verstehen. Doch das wäre auch außerhalb der Grundordnung regelbar. Und: Wenn die Grundordnung auch eine einladende Zielrichtung hat, könnte hier signalisiert werden, die Tür ist weiter offen.
Uns als Dienstgeberverband fehlt zudem eine eindeutige Feststellung, dass die Koalitionsfreiheit nicht nur für die Mitarbeitenden gilt, sondern auch für die Dienstgeber. Es wäre ein Leichtes, die jetzt nur auf die Beschäftigten bezogenen Passagen im Entwurf paritätisch zu formulieren, das brächte mehr Klarheit.
Die AcU ist ein Dienstgeberverband in der Caritas und setzt sich für die Weiterentwicklung des kirchlichen Arbeitsrechts ein
kkvd aktuell: Das kirchliche Arbeitsrecht, der „Dritte Weg“, steht insgesamt in der Kritik. Wie denken Sie darüber?
Matthias Scholz: Der „Dritte Weg“ hat über sehr lange Zeit Konfliktlösungsmodelle entwickelt, die funktionieren. Das ist seine Hauptstärke. Es gibt paritätische Kommissionen aus Mitarbeitenden und Dienstgebern, die miteinander verhandeln. Für Beschlüsse ist eine deutlich qualifizierte Mehrheit nötig. Ist eine Einigung nicht möglich, gibt es ein abgestuftes Schlichtungsverfahren bis hin zur Zwangsschlichtung.
Solche Schlichtungsmodelle halten heute auch in andere Rechtsbereiche Einzug, beispielsweise im Familienrecht. Mediation, Schlichtung und Schiedsgerichte gelten hier als modern. Warum man nun ausgerechnet ein so modernes Konfliktlösungsmodell über Bord kippen soll, kann ich nicht nachvollziehen.
Vielmehr stellt sich doch umgekehrt die Frage, ob Streiks und Aussperrungen in Deutschland heute noch sinnvolle Instrumente sind. Das gilt insbesondere für die Sozial- und Gesundheitsbranche, in der wir für Menschen da sind, die sich in existenziell schwierigen oder auch bedrohlichen Situationen befinden. Hier blockiert ein Streik nicht die Produktion bestimmter Güter, sondern die bestmögliche Sorge um Menschen.
kkvd aktuell: Sehen Sie beim „Dritten Weg“ auch Reformbedarf?
Matthias Scholz: Wir schreiben sehr viel vom öffentlichen Dienst ab. Dabei könnten die Vereinbarungen durch echte Verhandlungen für beide Seiten noch deutlich attraktiver gestaltet werden. Vieles aus dem öffentlichen Dienst ist nicht passgenau zu unseren Einrichtungen. Bei uns gibt es beispielsweise viel mehr Altenhilfe-Einrichtungen als im kommunalen Bereich.
Und auch bei den Krankenhäusern bestehen Unterschiede: Kommunale Häuser sind oft größere Einheiten, während wir auch mit kleineren Häusern die Versorgung in strukturschwachen Gebieten sicherstellen.
Dieses vorab veröffentlichte Interview stammt aus der nächsten Ausgabe des Verbandsmagazins “kkvd aktuell”. Das Heft wird am 01. August 2022 erscheinen.